Eine lange, schöne Fahrt mit kurzem schrecklichen Ende

14.02.2020
Lange hielt ich mich nicht an meinem Schlafplatz auf. Ob ich hier wirklich übernachten durfte, wusste ich nämlich nicht. Ich genoss meinen Morgenkaffee und fuhr weiter. Ich war früh unterwegs, die Sonne versteckte sich noch hinter den Hügeln. Ich werde Santiago erst am 05.03 verlassen und ich war Santiago schon ziemlich nahe. In den letzten Tagen überlegte ich mir, die Fahrt mit ein paar Schleifen zu verlängern um nicht zu früh in Santiago anzukommen. Was will ich denn drei Wochen lang in der luftverschmutzten Stadt unternehmen während Andrea arbeitet? Als ich heute Morgen erwachte, entschloss ich, es mit einem Umweg bleiben zu lassen. Ich wollte Andrea wiedersehen, um noch möglichst viel Zeit mit ihr verbringen zu können. Mein Tagesetappen-Ziel stand fest: Heute Abend schliess ich Andrea in meine Arme! Ich fuhr noch möglichst lange der Küste entlang bevor ich ins Landesinnere stach. Der schnellste Weg wählte ich dabei nicht. Teilweise stellten die kleinen Schotterstrassen eine richtige Herausforderung dar. Steil und holprig. Nach der Küste kam ich schnell voran. Vielleicht war mein Tagesziel zu ambitioniert, doch die Freude auf Andrea trieb mich an. Um 17:00 hatte ich 370km zurückgelegt, und knappe 50km lagen noch vor mir. Bisher war es eine lange jedoch kurvige und wunderschöne Fahrt. Am Rande der Stadt herrschte Dichter Verkehr. Die Autos stauten sich. Mit gemächlichem Tempo überholte ich die im Stau stehenden Autos. Ein Blick auf mein GPS Gerät im falschen Moment und es knallte. Zwischen den stehenden Autos bog ein weiteres von einer Seitenstrasse auf die Hauptstrasse ein. Ich donnerte ungebremst in das Auto. Scheisse, scheisse! Die Leute halfen halfen mir sofort, Gabriel an den Strassenrand zu stellen. Das Auto konnte vorerst nicht bewegt werden. Das Rad, in das ich hineindonnerte war abgeknickt und leider hatte auch Gabriel Schaden genommen. Der rechte Dämpfer der Gabel total gekrümmt! So ein Mist! Und das Ganze auf den letzten Kilometern in Südamerika, am Geburtstag meiner Mutter. Das Krankenauto fuhr vor. Ich wurde gefragt ob ich zur Kontrolle ins Krankenhaus gebracht werden will. Hmm ja, das sind die Momente die unangenehm sind, wenn man alleine unterwegs ist. Alles stehen und liegen lassen wollte ich nicht. Gabriel und meine Habseligkeiten zurücklassen? Auf keinen Fall! Ich war im grossen und ganzen ok. Nur mein rechter Arm schmerzte. Ich tastete ihn ab um festzustellen ob da was locker sitzt. War nicht der Fall. Gebrochen war da nichts. Ich hatte in meinem Leben schon mehrere Knochenbrüche und dieser Schmerz fühlte sich nicht nach einer Fraktur an. Ich lehnte das Angebot ab. Danach fuhr die Polizei vor, kontrollierte die Ausweise und fragte ob wir versichert sind. Ich habe zum Glück eine Versicherung die den Schaden an Drittpersonen abdeckt. María, die Lenkerin des Autos, stand ohne jegliche Versicherung da. Jetzt dachte ich, dass das protokollieren des Unfalls durch die Polizei folgt, doch die Polizei wollte sich vom Acker machen. Wie das denn funktioniert hier in Chile, fragte ich nach. Ich brauche doch ein Protokoll für die Versicherung. Das interessierte die Polizei auf keine Weise und fuhr vom Platz. Ich tauschte mit Maria die Telefonnummer aus. Meine Versicherung sollte für den Schafen am Auto aufkommen. Der Schaden der Gabriel erlitten hatte, muss ich selbst bezahlen, das war mir klar. Was nun? Ich kontaktiere meinen Freund Thomas aus Santiago. Der hatte mir beim Fall mit der Kardanwelle vor Monaten schon geholfen. Er wird mich und Gabriel nach der Arbeit abholen, versicherte er mir. Ich war ihm dafür sehr dankbar. Zum Glück bin ich auf meiner Reise auf Thomas gestossen. Was für eine gute Seele. Danach kontaktierte ich Andrea um ihr mitzuteilen, dass sich meine Ankunft verzögern wird. Sie bestand darauf, den Weg zu mir durch den dichten Verkehr auf sich zunehmen um mir vor Ort beizustehen. Was wollte ich mehr, ich durfte von den zwei wunderbarsten Menschen aus Santiago Hilfe erwarten. Die nächsten Schritte waren so organisiert. Ich setzte mich hin. Der Schock des Aufpralls verflüchtigte sich. Ich sass neben Gabriel und es kullerten ein paar Tränen über meine Wangen. Maria, wohnte ganz in der Nähe. Ihre Familie war plötzlich vor Ort und warteten mit mir auf meine Freunde. Eine weitere Person, die denn Unfall beobachtete, brachte mir ein Getränk und etwas zu essen. Eine Frau von den anliegenden Häuser machte mir das Angebot in ihrem Wohnzimmer abzuwarten. Ich durfte bei ihr die Toilette benutzen und bekam einen frischen Fruchtsaft zur Stärkung. Nach drei Stunden fuhr Andrea vor. Ach wie gut sich die Umarmung anfühlte. Maria und ihre Familie verabschiedete sich. Mit Andrea wartete ich auf Thomas. Andrea hatte mir Essen mitgebracht. Während ich meinen Bauch voll schlug, fuhr ein BMW-Motorradfahrer vor. Auch er hatte Essen für mich dabei. Während der ganzen Wartezeit wurden mir von mindestens 20 Personen Hilfe angeboten. Was für eine schöne Erfahrung. Der Motorradfahrer Claudio verabschiedete sich und kam kurze Zeit später mit seinem Freund in einem grossen Lieferwagen zurück. Die Gegend hier sei zu gefährlich um im Dunkeln auf der Strasse zu warten. Gabriel wurde eingeladen und kurze Zeit später sassen wir alle gemeinsam bei Kaffee und Kuchen in Claudio's zu Hause. Kurz vor Mitternacht fuhr Thomas mit seinem Transporter vor. Gabriel wurde umgeladen. Dankend verabschiedete ich mich von Claudio. Thomas fuhr mit Gabriel zu seiner Werkstatt und ich durfte mich in das Auto von Andrea setzen. Was für ein Tag. Eine lange schöne Fahrt mit kurzem schrecklichen Ende (Siehe Video: „Eine lange, schöne Fahrt mit kurzem schrecklichen Ende"). Ein langer Abend, umgeben von liebenswerten, hilfsbereiten Menschen. Ich wurde von allen Seiten umsorgt. Es kam mir vor, als liesse die ganze Welt alles stehen und liegen nur um mir zu helfen.